2. Juli 2018

"Mut haben" oder wieso ich nicht wirklich mutig bin

Lesezeit: ca. 3 Minuten

Mut - Glaube an Dich selbst alles ist möglich

“Ich finde das sehr mutig” oder “Ich bewundere ihren Mut” – solche oder ähnliche Aussagen habe ich während meiner Transition sehr häufig zu hören bekommen. Zum Einen sind es wirklich schöne Komplimente und zum Anderen zeugen sie von Respekt für diesen ach so “schweren” Weg. Doch hatte es wirklich etwas mit “Mut” zu tun? Versteht mich nicht falsch, aber eigentlich war ich mein Leben lang feige. Und nicht ein klein wenig feige, sondern so richtig arg *piep* feige. Ich mein, ich bin immer vor allem davon gerannt. Letztendlich auch vor mir.

Wie ist es sonst zu erklären, dass es solange gedauert hat, bis ich es nach Außen getragen habe? Und wohl es heute noch verdrängen würde. Wenn, ja, wenn der Druck nicht so übermächtig groß geworden wäre, als dass ich keinen anderen Ausweg mehr für mich sehen konnte. Egoistisch – dieser Begriff kreiste in meinem Kopf. Einmal in meinem Leben war ich wirklich egoistisch und es war gut. Selbst das es bedeutet hat, dass ich den Kontakt zu einem lieben Menschen (meinem Stiefsohn) verloren habe.

Doch darum soll es hier jetzt gar nicht gehen – genauso wenig um meine Transition. Das ist Geschichte. Viel mehr möchte ich beleuchten, dass ich nicht die Person bin für die mich viele halten. Ich bin nicht mutig und war es nie wirklich. Ich will es aber sein. Scheitere an mir selbst. Scheitere an meinem mangelnden Selbstvertrauen. Ich bring es, wie letztes Wochenende, nicht mal fertig alleine auf eine Party in einem Club zu gehen.

Zu groß die Angst nur in der Ecke zu stehen – vor Ablehnung – und den Weg dorthin umsonst gemacht zu haben. Unbekannten Menschengruppen begegne ich immer mit großer Skepsis. Woher das kommt weiß ich leider zu gut. Die Wurzeln liegen in der Kindheit / Jugend, als ich regelmäßig von einer Clique verfolgt und verprügelt wurde. Also versuche ich es zu kompensieren und suche nach bekannten Menschen (Freunden), die dort tendenziell hingehen würden. Findet sich so eine Person nicht, ziehe ich den Kopf ein und verkrieche mich tief zurück in meinen Fuchsbau. *Gedankensprung*

Ich stelle mich gerne in die zweite Reihe. Lasse immer allen anderen den Vortritt. Hauptsache die Augen sind nicht auf mich gerichtet. Dabei sollte ich gerade jetzt – und vor allem nach der Transition – zu mir stehen und das machen auf was ich Lust habe. Eben das Leben genießen. Den Mut haben etwas zu riskieren. Ich weiß aus eigener schmerzlicher Erfahrung wie schnell und unerwartet das Leben (der Tot meiner Mutter) vorbei sein kann.

Sich selbst Mut machen

Also warum dann jetzt diesen Beitrag? Wenn es doch für mich klar ist, wo meine Probleme liegen und ich weiß wo dran ich arbeiten muss? Der Blog war von Anfang an für mich Ventil und Therapie. Ich habe hier immer alle meine Sorgen und Ängste aufgeschrieben – auch wenn ich sie zum Teil nie veröffentlicht habe – so ist es mein Weg mit mir (und auch mit euch) – gewisse Dinge auszumachen. Mit anderen Worten ich möchte mir selbst mit diesem Beitrag sagen, dass ich einfach Dinge machen sollte, statt hinter her meine Entscheidung (etwas nicht getan zu haben) zu bedauern. “Life is too short for regrets”

Ich muss nur an mich selber glauben und mir Mut zu sprechen, dass egal was ist – mir wird in den Situationen nichts passieren und im blödesten Fall war es einfach eine blöde Erfahrung mehr. Was aber auch nicht unbedingt negativ ist. Denn die Summe aller Erfahrungen und Entscheidungen machen uns zu dem Menschen der wir sind. Ich muss es einfach nur wagen. Raus aus meinem Schneckenhaus und raus aus der Sicherheitszone. Hinein ins Leben.

So wie ich am Wochenende relativ spontan einer Einladung von Herrn Falbalus auf einen oder mehr Kaffee gefolgt bin. Klar war es nur eine 1:1 Situation und mit der hatte ich noch nie Probleme, aber an dieses “einfach machen und nicht drüber nachdenken” sollte ich mich gewöhnen. Denn alleine die Begegnung am Wochenende hat mein Leben um einiges bereichert. Danke dafür und wer weiß was für Erlebnisse ich sonst noch verpassen könnten oder schon verpasst habe – nur weil mir der letzten Funke Mut fehlte.

In diesem Sinn. Blackwitch hab den Mut und trau dich was. Du bist viel toller und zu viel mehr fähig als Du Dir selbst zugestehst. Oder wie war das Du kannst nicht tanzen? Beweise! Sei ab und zu auch mal egoistisch und Lebe im hier und jetzt!

Alles Liebe
Blackwitch



7 Kommentare

Frauke
Frauke

Liebe Blackwitch,
ich google gerade für meinen eigenen Blogartikel und bin auf Dein Glossar gestoßen. Dann habe ich mal eben auf Deine Seite geschaut, Deine Fotos angeschaut und diesen Artikel gelesen. Ich finde Deinen Schreibstil toll, also das, was ich gelesen habe. 🙂 Und ich danke für Deine Ehrlichkeit und eins noch: mutig ist nicht die Person, die keine Angst hat, sondern die, die es trotzdem macht!
Ich hoffe, dass viele Menschen auf Deinen Blog kommen und sich verstanden, ermutigt und weniger alleine fühlen.
Alles Gute für Dich!!!!
Frauke

Astrid Materna
Astrid M.

Liebe Blackwitch,
(und andere Mitleser)
Vielen Dank für die Geschichten, Informationen und Fotos (das würde ich mich nie trauen) von dir. Hat mir sehr geholfen (keine Sorgen, meine Entscheidung stand längst fest). Bei einigen Punkten erkenne ich mich wieder:
Großen Menschengruppen, Unbekannten begegne ich auch mit Skepsis, aber ich hoffe, wenn ich mit meiner Transition soweit bin, kann ich mich wieder besser dem Thema widmen. (hatte es z.B. mit einem Sprachkurs versucht – funktionierte auch bedingt).

Ich hatte erst Anfang 2019 mein spätes Outing vor meinen Freunden und einigen Angehörigen. Arbeite mich da jetzt durch – demnächst: die lieben Kollegen. Einige “Problemfälle kommen später in diesem Jahr dran. Ein Fazit: ich hätte ich das alles mindestens 10 Jahre früher tun sollen. Aber hinterher ist frau immer schlauer.
Ich denke daher nicht, daß du “feige” bist, weil Rücksichtnahme auf die Anderen und auch vernünftiger Selbstschutz dahinter steckt. Da ich z.B. keine Kinder habe, mußte ich darauf nie Rücksicht nehmen. Ich wohne auch in Berlin: da ist es einfacher in der Masse unterzutauchen und die Leute sind inzwischen vieles gewöhnt (meine bisherige Erfahrung). In einer kleineren Stadt als TS wäre für mich der absolute Horror.

Vielleicht sind wir beide ein bißchen “feige” (ich auf jeden Fall viel mehr), aber das ist eigentlich nicht wirklich schlimm. Wir sind eben keine (übermütigen) Machos und haben schlechte Erfahrungen mit Menschen. Sowas macht halt vorsichtig.

Vieles Beiträge haben mir einfach gefallen. Schade ist eigentlich nur, daß ich diese nicht eher gefunden habe. Auch wenn Dich sicher viele andere Dinge beschäftigen, hoffe ich, daß Du deine Site am Leben erhälst und vielleicht einfach ab & zu schreibst, worüber Dir der Sinn steht. Würde mich sehr freuen.

Ich wünsche dir und deinen Lieben alles Gute,
Astrid

    Blackwitch
    Blackwitch

    Liebe Astrid,

    vielen Dank für Deinen Kommentar und auch den vielen offenen Worten. Klar ist es in einer “Kleinstadt”
    am Anfang der Transition schwieriger als in einer Metropole. Aber dennoch hätte es eben auch keine
    Alternative gegeben. Wenn der Punkt erreicht ist, an dem es nicht mehr weiter geht, muss man handeln
    ob man will oder nicht.

    Mach Dir übrigens keine Sorgen. Der Blog wird weiter existieren und wenn ich wieder die Ruhe habe werde ich auch
    wieder das Schreiben anfangen. Nur ist mir derzeit eben so überhaupt nicht danach. Genauso wie eben der Blog
    auch dazu führt, dass ich zum Teil Zwangsgeoutet werde. Aber da will ich mich nicht beschweren, schließlich habe
    ich es von Anfang an gewusst, dass es so kommen wird.

    Alles Liebe und weiterhin alles Gute für Deinen weiteren Weg
    Blackwitch

    Christine Bandholdt
    Christine B.

    Hi Astrid,

    zu deinem Satz: “ich hätte ich das alles mindestens 10 Jahre früher tun sollen. Aber hinterher ist frau immer schlauer.”

    Hatte mein Coming Out 2000 nach dem Besuch einer TG-Stammtischrunde; danach geschwind die ganze Chose mit Psychotherapie, Alltagstest, Hormontherapie, Namensänderung und gaOP angeleiert (der Weg lag glasklar vor mir). Dann wenige Tage vor der gaOP Kenntnis von Komplikationen in meinem Blutbild erhalten und OP ausgesetzt (2003);
    Danach Job verloren, Umzug nach Meck.Pomm. in eine “Kleinstadt” für neuen Job.
    16 Jahre nur mit der “kleinen” Lösung (der Namensänderung) gelebt. Nach 2 Depri’s
    habe ich nun kapiert, weiter hinauszögern ist auch keine Lösung für mich.
    Ich könnte mir ständig selbst in den Hintern treten, diese 16 Jahre verplempert zu haben. Andererseits bin ich auch reifer geworden und entscheide mich nun viel bewusster “für” die OP; und nebenbei lässt mich meine Hormontherapie gut 10 Jahre jünger aussehen (also doch nur 6-7 Jahre vertrödelt).

    P.S.: ich habe in der Kleinstadt eher keine Probleme mit intoleranten Menschen, dafür um so mehr mit der Suche nach qualifizierten Ärzten.

    Eure Christine

maneu
maneu

Liebe Blackwitch, liebe Emily,
jetzt antworte ich erstmals zwei Menschen in Deinem Blog!
1) liebe Blackwitch, doch, Du bist mutig und stark, Entscheidungen zu treffen, vor denen Viele auch lange davon gelaufen wären! Auch Deine Bereitschaft, andere Menschen in Dein Inneres schauen zu lassen, ist ohne Mut nicht möglich. Denn schließlich machst Du Dich dadurch auch verletzbar! Und darüber hinaus auch selbstlos- schließlich hast Du auch mir bereits vielfach Dein Ohr geliehen und mit Rat zur Seite gestanden! Danke dafür!
2) liebe Emely: schön, von Dir zu hören und dass Du uns von Deinem Kummer berichtest! Mit anderen Gleichbetroffenen sich auszutauschen, ist sehr wichtig und wird Dir zeigen, dass Deine Empfindungen zwar weh tun, aber ganz normal sind. Sie entsprechen etwa dem, was ich vor etwa anderthalb Jahren auch gefühlt hatte! Falls Du Interesse an einem Austausch hast, teil es im Blog mit! (ich hoffe, liebe Blackwitch, Du nimmst mir meinen Vorschlag nicht übel?) Du hast jedenfalls den ersten Schritt schon geschafft!
Alles Liebe – Eure Manu

Marie
Marie

Liebe Blackwitch,

so viele Parallelen-daher habe ich deinen Blog und dich auch in kurzer Zeit in mein Herz geschlossen. Allerdings muss ich wohl noch eine ganze Ecke feiger sein als du und das obwohl ich viel länger um mich weiss.
Doch eine Sache ist anders, ich hätte niemals als Mann heiraten und Vater werden können, selbst das hätte nicht gepasst. Und das obwohl ich eine wirklich liebe und mitfühlende Partnerin habe, die auch über mich bescheid weiss.
Wie im Job bin ich aber auch da minimal invasiv und überfordere sie nicht, platziere immer kleine Aufhänger, mische die Kleidung und trage auch ganz offiziell Haarklämmerchen weil es einfach zu mir gehört.
Ich möchte dich loben-du hast mir unendlich mehr zusätzliche Kraft gegeben um weiter zu gehen.

Liebe Grüsse, Marie

Emely
Emely

Ich habe mir jetzt mal deinen ganzen blog durchgelesen. sogar diesen dummen Test mit +180 Punkten “bestanden”. Man sollte meinen es würde mir besser gehen etwas mehr gewissheit. Naja leider ist er der andere fall eingetreten. Ich sitze hier auf meinem Stuhl allein in meinem Zimmer mit Herzklopfen und dem Wunsch zu Heulen. Keine ahnung warum ich das Überhaupt schreibe, aber ich will es einfach. Trotzdem muss ich dir auch danken, ich habe hier so oft probleme von mir gelesen, und bin etwas erleichtert das nicht nur ich diese Denkweise habe. Nur eine Frage bleibt bestehen bin ich Trans, oder auf ewig dazu verdammt zu sein diesen Krieg in mir auszufechten.

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